Freitag, 16. September 2016

Work and flow


Es ist immer wieder schön, wenn sich die Arbeit und das Vergnügen verbinden läßt. Wobei work and flow in den letzten Tagen in London wörtlich zu nehmen ist. Es war zum zerfließen in dieser subtropischen Stadt. 


Aber auch bei diesen Temperaturen kann man es sich gut gehen lassen. 



Auch wenn viele Gerichte  – insbesondere das Frühstück – in England hochenergetisch sind, gibt es viele Möglichkeiten leichte und leckere Küche zu finden, wie z. B. oben Falafel von Comptoir Libanais in South Kensington. Eine weitere gute Alternative ist das in London wirklich exzessiv praktizierte Picknicken. Fast an jeder Straßenecke gibt es einen Laden in dem leckere Sandwichs, fertige Salate, Getränke und kleine Chipstüten angeboten werden. Damit ein bißchen in den vielen Parks zu sitzen, zu essen und Leute zu beobachten und Dinge geschehen sehen ist sehr kontemplativ.

 

Kinobesuch im Notting Hill Coronet, schön shabby und heruntergekommen.

Es wird sehr viel berichtet vom hippen Eastend von London. Wenn man jedoch Schanze und Karoviertel um die Ecke hat, gerne in Friedrichshain und Kreuzberg in Berlin herumstreicht, Södermalm von Stockholm kennt etc., da reiht sich London auch nur ein. Es ist nett. Aber die Superlative haben sich mir nicht erschlossen.




Whitechapel Art Gallery





Natürlich auch hier Street Art an jeder Ecke.




Allerdings möchte ich hier mal einen echten Geheimtipp (Danke, Suse!) weitergeben. In Shoreditch gibt es einen ultimativen Ort für den perfekten Mittagstisch. Er ist hinter hohen Mauern gut versteckt und heißt Rochelle Canteen. Hinein kommt man nur wenn man den Jungeneingang von der alten Rochelleschule am Arnold Circus findet und dort auf das Klingelschild "Canteen" drückt. Das Restaurant ist im ehemaligen Fahrradschuppen untergebracht und angeboten werden sehr leckere Biogerichte und das weltbeste Ginger Beer.





Wenn man mal ganz viel Zeit hat, könnte man sicher alle tollen Museen der Stadt besuchen und darüber berichten. Wenn... Deshalb hier nur eine kleine Auswahl.



Die Tate Modern groß und großartig. Schon die Dauerausstellungen lohnen den Besuch, die sind übrigens kostenlos. Oben ein Werk von Sheela Gowda, mußte ich irgendwie an Geta Brátescu denken.



Auch eine Auswahl der Flyer der Guerrilla Girls kann man dort sehen.

Besonders gefreut hat mich, dass der Artists Room gerade von Louise Bourgeois bestückt war. Ihre Kunst ist immer wieder sehr inspirierend.











Es lohnt sich übrigens unten in der Tate Modern bei den hübschen Leckereien zuzuschlagen und sich dann ein bißchen nach draußen zu setzen und dem Schiffsverkehr auf der Themse zuzusehen. Oben eine Art Zitronentarte im Glas. Delicious!




Überhaupt Themse. Wenn es auch ein bißchen touristisch ist, eins der Linienschiffe zu nehmen und ein bißchen auf dem Wasser herumzuschippern macht Sinn.

Auch ein Besuch im Victoria and Albert Museum ist lohnend.




Interessante Fotoausstellung über Fotografie in der Fotografie.


Wenn man ein bißchen genau schaut, findet man auch immer wieder Veranstaltungen jenseits des Mainstreams. Hier z.B. ein netter kleiner Jazzevent von Heads South in der Krypta von St. Martins. Sehr schräges Zusammentreffen skurrilster Typen.




Natürlich kann man wenn man Zeit hat auch ohne Ende in London shoppen gehen, da gibt es ein überbordendes Angebot. Allerdings, vergeßt Harrod's und Liberty! (Zugegeben die Feinkostabteilung im Harrod's sucht ihresgleichen, ansonsten ist das shoppen dort eher Event wie in Tausendundeiner Nacht und zwar Dinge, die die Welt nicht braucht zu Preisen, die die Welt nicht glaubt.) Nein, das nirgendwo so recht erwähnte Kaufhaus Peter Jones am Sloane Square ist ein Besuch wert. Es kommt recht durchschnittlich daher, zeigt in der Stoff- und Kosmetikabteilung aber echte Schätze zu einem sehr fairen Preis. Die Marke in "Residence" ist John Lewis.




Donnerstag, 1. September 2016

Mutterseelenallein


Vielleicht erinnert sich noch jemand an diese Ice-Bucket-Challenge, bei der sich mehr oder weniger Prominente publikumswirksam Eiswasser aus einem Eimer über den Kopf gossen. Sie haben sich damit von der Verpflichtung freigekauft eine größere Spende zur Erforschung und Bekämpfung der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu machen. Sie durften dann drei weitere Personen benennen, die dann ihrerseits vor die Challenge gestellt wurden. Natürlich haben die meisten dann auch noch einen großzügigen Scheck in die Kamera gehalten, weil sie ja nicht nur für jeden Spaß zu haben, sondern eben auch noch richtig gute und selbstlose Menschen sind. Mag man verwerflich finden, dass eine so grausame Krankheit als Bühne zur eitlen Selbstdarstellung herhalten muss. Es muß aber auch festgestellt werden, dass diese Challenge dazu geführt hat, dass fast 50 Millionen Dollar gespendet wurden, ein Vielfaches von den ungefähr 2 Millionen, die im vergleichbaren Vorjahr gespendet wurde. Wenn man dann noch weiß, dass diese Aktion, von einem amerikanischen Sportler, der selber an ALS erkrankt war, initiiert wurde, relativiert sich das Unbehagen weiter.

Bei ALS werden die Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind, nach und nach zerstört. Im Krankheitsverlauf verliert der Kranke allmählich die Kontrolle über seinen Körper und ist am Ende von Kopf bis Fuß gelähmt, ausgenommen der Augenmuskeln. Nicht wenige der Menschen, denen diese Diagnose gestellt wurde, warten dieses Ende nicht ab. Meine Mutter ist diesen Weg bis zum bitteren Ende gegangen.




Heute ist ihr Todestag. Es sind so viele Gedanken, die mich dazu erfüllen. Die Wut, dass sie diese Krankheit bekommen mußte und dass es diese Folterkrankheit überhaupt gibt. Die Vorstellung, selbst von der kleinsten Fliege tyrannisiert werden zu können und völlig ausgeliefert zu sein, macht mich schier wahnsinnig. Ganz abgesehen von den Schmerzen, die man trotz Lähmung natürlich noch voll empfindet. Ich bin noch immer beeindruckt, dass bei dem ganzen Kummer und der Verzweiflung, die diese Krankheit verursacht, meine Mutter bis zum letzten Tag auch immer wieder eine aufmerksame, emphatische  und zugewandte Zuhörerin war. Sogar Lachen mit den Augen kam bis zuletzt immer wieder vor. Dazu muß ich sagen, dass die moderne Technik ein echter Segen ist, denn es war ein großes Glück, dass sie endlich im letzten Jahr einen Augencomputer bekam, mit dem sie wieder mit der Außenwelt kommunizieren und sogar Emails schreiben konnte.

Dennoch habe ich den Tod nach dem ganzen Leidensweg auch als etwas Erlösendes empfunden. Endlich war diese Quälerei zu Ende. Aber sie fehlt mir. Es gibt immer wieder den Moment, wo ich denke, dass ich ihr etwas erzählen muss und mir dann klar wird, dass das nicht mehr geht. Oder dass ich gerne wissen würde, was sie von einer Sache hält.

Auch wenn man schon lange auf eigenen Beinen steht und eine eigene Familie aufgebaut hat, ist der Tod der Mutter doch ein sehr trauriger Einschnitt, ganz direkt aber auch im übertragenen Sinne, der eigene Tod rückt emotional auch näher, das Dach ist sozusagen weg. Mein Vater, der meine Mutter bis zum Schluß aufopfernd und mit Geduld gepflegt hat und bis zum Ende bei ihr war, hat sicher die größte Herausforderung sich in seiner neuen Rolle zurecht zu finden.

Trotzdem der Tod auch als Erlösung empfunden wird, bleibt er doch nach wie vor ein großes Rätsel. Manchmal, denke ich, warum sollte es nicht doch irgendetwas nach dem Tod geben, was höher ist als unsere Vernunft? Wieso kann man nicht so ähnlich wie in der Naturwissenschaft vorgehen und solange von der Annahme ausgehen, dass mit dem Tod nicht alles vorbei, bis das Gegenteil erwiesen ist.